Wahl des Bundesrates durch das Volk: Ja oder Nein?

Mit der Initiative für eine Volkswahl des Bundesrates wird dieses (sehr alte) Postulat ein weiteres Mal auf die bundespolitische Tagesordnung geschoben. Diesmal von Rechts, früher kamen solche Forderungen meistens von Links.

Kein Zweifel, in einer Demokratie darf man alle politischen Einrichtungen in Frage stellen, diskutieren und verändern wollen, auch fundamentale wie die Wahl der Regierung. Diskussion heisst mit Argumenten streiten, um so die besseren herauszufinden. Dann aber verlangt eine Demokratie auch (und das nützt ihr), dass man sich von den besseren Argumenten überzeugen lässt und ihnen folgt. Wie also sehen die Argumente für und gegen eine Volkswahl des Bundesrates aus?

Erstens: Gibt die inzwischen volle 150 Jahre alte Praxis der Bundesratswahlen ausreichende Gründe, das geübte Verfahren zu ändern? Vor einer Antwort sollte man nicht vergessen, dass Wahlen oft und überall, in Unternehmen, in Universitäten, sogar in Kirchen und vor allem in der Politik, mit ‚Qualen’ verbunden sind, weil es dabei immer Verlierer gibt. Deshalb wurde und wird auch das Verfahren der Bundesratswahlen häufig kritisiert. Man darf das. Aber die Zweckmässigkeit jedes Verfahrens, auch eines Wahlverfahrens muss an seinen Ergebnissen abgelesen werden. Dann gilt, dass die Stabilität, die Leistungsfähigkeit, die Legitimität und auch die Korrektheit unseres Bundesrates klar für das bisherige Wahlverfahren sprechen. Es ist mindestens bemerkenswert, dass in der langen Zeit seit 1848 kein Bundesratsmitglied straffällig geworden und kaum eines zurücktreten oder abgewählt werden musste. Also erfordert und rechtfertigt die bisherige Praxis keine wesentliche Veränderung des Verfahrens. Die Volkswahl wäre ein solches.

Zweitens: Der Verweis auf die Volkswahl der Regierungsräte in den Kantonen überzeugt nicht. Denn die innen- und aussenpolitischen Funktionen und Verantwortungen des Bundesrates haben ein ganz anderes Format und verlangen deshalb auch besondere Regeln seiner Wahl und seiner Zusammensetzung. Das wissen die Führungskräfte unserer Parteien ganz genau, deshalb sollten sie dem Volk nichts anderes weiszumachen versuchen.

Drittens: Wir haben mit unseren Bundesrat eine spezielle Regierungsform, gewissermassen einen ‚kollektiven Präsidenten’, eine Art Rätesystem, das aus den relevanten Kräften des sprachgespaltenen Landes politisch breit zusammengesetzt ist (die ‚Zauberformel’) und das auf Dauer, also ohne interimistische Abwahl oder Regierungsumbildung schalten und walten können soll und auch muss. Dieser Vertrauensvorschuss und die damit mögliche Macht erfordern eine sorgfältige Auswahl der Mitglieder. Diese kann nur das Parlament vornehmen. Denn es ist die einzige Instanz, welche die Eignung der Bundesratsanwärter ausreichend kennt, welche die Wahlen auch verantworten und die Gewählten dann wirksam kontrollieren kann. Bei einer Volkswahl wäre das nicht mehr gleichermassen möglich. Also ist das bestehende Verfahren das bessere.

Gewiss erfordert die ‚Zauberformel’ bei den Wahlen in der Bundesversammlung Absprachen und personelle Konzessionen zur Mehrheitsbildung, was immer wieder kritisiert wird. Aber auch die Volkswahl würde solche Absprachen und gegenseitigen Unterstützungen notwendig machen. Und wir reden ja von der ‚Zauberformel’, weil damit (nach langem Lernen) ein Regierungsmodus gefunden wurde, mit dem unser sprachgespaltener, föderalistischer und direktdemokratischer Kleinstaat bisher gut über die Runden gekommen ist. Mit der Volkswahl wäre dieser bewährte Regierungsmodus nicht mehr gesichert.

Viertens: Wer sich sine ira et studio auf diese Wahlfrage einlässt, der weiss oder sollte sich daran erinnern, dass wir ein komplizierte und komplexe Mischverfassung haben. Um es damit kurz zu machen: Unser Föderalismus und die Einrichtungen der direkten Demokratie schaffen bekanntlich viel Spielraum für politische Konkurrenz und Konflikt. Um trotzdem zu mehrheitlichen Zustimmungen zu kommen und um dem exponierten Kleinstaat Schweiz eine handlungsfähige und stabile Regierung zu sichern, benötigen wir einen Bundesrat, der dank seiner breiten Zusammensetzung gewissermassen über der Parteien steht. Ein parteipolitisch einseitig zusammengesetzter Bundesrat würde mehrheits-fähige Volksabstimmungen häufig erschweren. Eine Volkswahl des Bundesrates könnte diese ‚Überparteilichkeit’ nicht garantieren und wäre deshalb nicht mehr Demokratie.

Fünftens: Wahlverfahren sind ganz fundamentale Regeln und beeinflussen deshalb mit ihrer Art praktisch alle Einrichtungen des politischen Systems. Wenn wir den Bundesrat also durch das Volk wählen lassen, dann reduzieren wir damit die Funktionen und Verantwortungen des Parlamentes und als Folge davon auch jene der politischen Parteien und der Parlamentswahlen. Zugleich würde die plebiszitäre Öffnung der Bundesratswahlen ganz neue und kaum kontrollierbare Akteure wie die Massenmedien, die Verbände, Geldgeber, möglicherweise Populisten und damit ganz andere Typen von Politikern und Politikerinnen ins Spiel bringen. Wollen wir das wirklich?

 

Zurück